
SPIELZIMMER Hamburg - therapeutisches Schrauben

Spielzimmer Hamburg - therapeutisches Schrauben an alten Vespa & Lambretta für Fortgeschrittene

Psychiatrische Klinik. Das Schild hat offensichtlich mal irgendjemand geklaut. Irgendwo. Zum Glück lange her und verjährt. Gut zwei Meter groß, lehnt der ehemalige Wegweiser zur Therapieeinrichtung an der Wand einer Kellerwerkstatt in Hamburg Eimsbüttel. Zwischen zwei Smallframe-Sprintern, einem Seitenwagenboot in rot und einer Auspuffsammlung, die vom Volumen her vage an die Schuhsammlung von Imelda Marcos erinnert.
"Willkommen im Spielzimmer", freut sich Marek über jeden Besucher. Vorausgesetzt er bringt Bier mit. "Mit einer konventionellen Schraubergemeinschaft haben wir wahrscheinlich soviel gemein, wie mexikanisches Wrestling mit der Ringerjugend des Eimsbütteler Sportvereins. Auch wenn hier regelmäßig versucht wird, mit den Regeln des gesunden Menschenverstandes zu handeln, hat das, was wir hier machen, damit tatsächlich wenig zu tun. Inhaltlich zumindest, in der Umsetzung jedoch diskutierbar". Offensichtliches "fishing for compliments" von jemanden, dessen Pokalsammlung mittlerweile das Regalbrett durchbiegt. Schließlich zeigt die sechsköpfige Therapiegruppe vor allen Dingen eine große Leidenschaft für technische Lösungen, auf die sonst - möglicherweise zu recht - noch niemand gekommen ist.
Wahnsinn mit Methode
Dass diese trotz allen Irrsinns offensichtlich doch Hand und Fuß haben, dokumentiert das Team aus Eimsbüttel nicht nur auf ihrer Facebookseite mit immerhin über 1.500 Fans, sondern auch regelmäßig auf Customshows und Veranstaltungen quer durch die Republik. Sharknado, Matzes rote Rakete, der Froschkönig, Stray Bullet, 10 Inch Terror oder die Dupont - die Coups aus der Hamburger Kellerwerkstatt sorgen fast immer für "what the fucks" und je nach Mentalität Kopfschütteln oder Begeisterung.
"Aus einer Kawasaki GPZ 500 einen Motor samt Rahmenhalterung rauszuschneiden und in eine Lambretta zu integrieren, ist auf der Sachebene ebenso wenig sinnvoll, wie die Kombination einer Scheibenbremse mit einer selbstkonstruierten Speichenfelge, wie an der Stray Bullet", gibt Marek zu, während Werkstattkollege André die Grillwürste umdreht, die am Treppenniedergang brutzeln. "Wenn man sich mit so einem Wahnsinn allerdings ernsthaft beschäftigt, dann soll es mindestens gut werden."

Toleranz ist wichtig, Dogma nicht
Wie dieses "gut" dann aussieht, entscheidet allerdings jeder selbst. Auch das macht das Spielzimmer aus. Die Roller, die hier stehen, unterscheiden sich stark. Den einen Spielzimmer-Stil gibt es nicht. Neben einer Lambretta LI Special im Dealer Custom-Style der 60er Jahre, steht Svens Faro Basso Rahmen im Graffiti-Look und mit einer Sitzbank aus einem alten Skateboard. Weitere fertige oder sich im Umbau befindliche Projektroller stapeln sich in zwei eigens dafür angeschafften Schwerlastregalen. Toleranz ist also wichtig. Und jede Form von Dogmatik verboten. "O-Lack-Anoraks oder andere Verteidiger des einzig wahren Glaubens haben bei uns nichts verloren. Hier schraubt jeder an seiner Kiste so, wie er es für richtig hält", so André weiter. Auch Falschtakter und Automaten werden hier regelmäßig per hydraulischer Hebebühne ins Kellergeschoss abgelassen oder eben wieder ans Tageslicht gepumpt. "Zumindest, solange das nicht bedeutet, mit 60 km/h durch den Hamburger Elbtunnel fahren zu müssen, wie ich bei einem ersten Ausflug mit den Kollegen schmerzlich feststellen musste. Es tat schon weh, als Simon, Marek und Matze im zweiten Gang an mir vorbeizogen während ich liegend die letzten Leistungsreserven aus der Lambretta rauszukitzeln versuchte."
Zum Glück sind derlei traumatische Erlebnisse längst austherapiert. "Auch wenn die Grenzen zwischen Patienten, Therapeuten und Pflegern hier sehr flexibel verlaufen, steht die Hausmeisterrolle hier seit mittlerweile vier Jahren fest", schmunzelt Marek vielsagend.
"Wo bleibt ihr, die Wurst ist fertig. Und bringt Bier mit". Kurze Pause, dann geht´s weiter. Bei der Zerspanungstherapiestunde im Flexarium.
