
17. Vespa Giro dei Tre Mari 2023 Bari – Albanien
Der Giro dei Tre Mari (Tour der drei Meere) hat eine lange Geschichte. Im Jahr 1953 wurde er auf Betreiben der Familie Agnelli ins Leben gerufen und als Wettkampfveranstaltung durchgeführt. Bei unserer Recherche haben wir einen Artikel von Ilse Thoure aus der Roller Revue Nr. 6 von 1953 gefunden, der sich ausgesprochen vergnüglich liest. Sechs Deutsche Fahrer und Fahrerinnen waren damals am Start und es handelte sich durchaus um einen ernst zu nehmenden Wettbewerb. Nach dem letzten Giro 1964 erlosch das Interesse an dieser Rundfahrt und sie drohte in Vergessenheit zu geraten. Wenn da nicht ein gewisser Vespa Club aus Bari gewesen wäre, der diese Tradition 2004 wieder aufleben ließ.

Mit der Vespa nach Albanien
Die Begeisterung war groß und immer wieder mussten späte Anmeldungen abgewiesen werden, denn die Teilnehmerzahl war auf 150 Fahrer*innen begrenzt. Die Tour entlang der Küsten der Adria sowie des Ionischen und Thyrrhenischen Meeres verlor zwar ihren knallharten Wettbewerbscharakter, wurde aber zu einer langen Fahrt auf einer Vespa oder Lambretta, um neue Gegenden samt Gastronomie und Kultur zu entdecken. Vor fünf Jahren fand die erste Special Edition statt: der Giro dei Tre Mari führte nach Albanien. Die Rundfahrt fand so großen Anklang, dass es im Jahr 2023 eine Neuauflage gab. Und als Maurizio De Pasquale, Präsident des Vespa Club Bari, eine Abordnung des SIP Scootershops einlud daran teilzunehmen, mussten wir nicht lange überlegen. Ich war sofort Feuer und Flamme, denn Albanien habe ich noch nie bereist. Also machte ich meine Vespa Rally 200 flott, und rekrutierte André (GS 160) und Fabi (PX 200) vom SIP Scootershop sowie meinen Freund Thomas (Motovespa). Lukas von Abgedreht bekam eine Vespa GTS 300 verpasst, die er aufwendig mit Kameras, Fotoapparaten und anderem High-Tech-Kram umrüstete. Das Abenteuer konnte beginnen. Und dann hieß es am 29. Mai: auf nach Bari, Italien, um von dort mit der Fähre nach Durrës, Albanien, überzusetzen.

Am Hafen in Bari waren wir erst einmal davon beeindruckt, wie der Vespa Club Bari diesen Giro organisiert hatte. Alles lief wie am Schnürchen. Wir wurden in kleine Gruppen „Squadras“ eingeteilt, bekamen ein dickes Roadbook mit allen Informationen, Startnummern, eine SIM-Karte für Albanien und allerlei Goodies. Vorbildlich! Dann schifften wir uns ein und erlebten an Bord der Fähre einen großartigen Sonnenuntergang mit herrlichem Ausblick auf Meer und Küste. Am nächsten Morgen gingen die 150 Teilnehmer mit ihren Rollern in Durrës, Albanien, an Land.
Dienstag: Auf zum Ohridsee
Wir steuerten zielstrebig eine Bar am Hafen an, wo es Kaffee und ein herzhaftes Frühstück gab. Derweil gingen die ersten Squadras an den offiziellen Start und irgendwann sattelten auch wir unsere Vespas und machten uns auf den Weg gen Pogradec, am südlichen Ufer des Ohridsees. Wir fuhren auf kleinen Straßen, die erstaunlich gut in Schuss waren und bekamen einen ersten Eindruck von der wilden Landschaft. Am Ende des Fahrerfelds waren gleich zwei sogenannte „Besenwagen“, die im Falle des Falles Hilfe boten. Um es vorwegzunehmen: wir blieben davon verschont. Mensch und Maschine hielten durch.
Der See selbst liegt im Zentrum des UNESCO-Welterbes Natur und Kultur. Er gehört zum größten Teil zu Mazedonien, ist einer der ältesten Seen der Erde und bis zu 288 Meter tief. Unser Hotel in Pogradec lag direkt am Ufer dieses Gewässers und wir verbrachten den Rest des Tages damit, den charmanten Ort zu erkunden, vortrefflich zu speisen, Kaltgetränke zu verkosten und die Mitreisenden aus England, Italien und Frankreich zu begrüßen. Darunter alte Bekannte wie Sticky, Michele und Dean von Casa Performance sowie Roberto von Barone Racing.

Mittwoch: Auf der Vespa nach Mazedonien
Morgens wurden wir erst einmal vom albanischen Radio und Fernsehen in Beschlag genommen, denn der Giro scheint eine große Sache zu sein und wird auch vom Kulturministerium gefördert. Ich gab ein paar Interviews und als der Medientrubel vorbei war, entschieden wir uns für eine Tour in nördlicher Richtung, immer am Seeufer entlang, um am Grenzübergang Kjafasan nach Mazedonien zu kommen. Die Landschaft ist wild, der Tourismus noch nicht weit verbreitet und der See bot eine konstant malerische Kulisse. Schließlich die Ankunft im kleinen Städtchen Ohrid, mit rund 40.000 Einwohnern die größte Ansiedlung am See. Wir schauten uns die schmucke Altstadt an, tafelten ausgiebig und fuhren gegen Abend zurück zu unserem Hotel in Pogradec. Kulinarisch ist Albanien sehr an der Balkan-Küche orientiert. Viel Fleisch, frische Salate und würziger Käse.

Donnerstag: In der Hauptstadt
Auf der teilweise bekannten Strecke hatten wir ein großes Ziel: Tirana, die Hauptstadt Albaniens. Wir erreichten die Metropole am späten Nachmittag und ich fühlte mich sehr bald an Athen erinnert. Die Stadt ist ausgesprochen quirlig und lebendig. Viele Bars, Kneipen und Restaurants, auf den Straßen ein buntes Treiben. Außerdem scheinen die Albaner eine Vorliebe für aufgemotzte Limousinen mit dem Stern zu haben, denn die sieht man an allen Ecken. Tirana ist nicht mehr so exotisch wie die anderen Landesteile. Das Flair des westlichen Kapitalismus weht ungebremst durch die Straßen. Wir tauchten ein in das Gewimmel und verbrachten einen fröhlichen Abend in der Hauptstadt.

Freitag: Auf den Spuren von Skanderbeg
Eigentlich hieß der albanische Volksheld Georg Kastrioti, aber der Volksmund nennt ihn ehrfürchtig „Skanderbeg“. Der Mann hat sich von 1423 bis zu seinem Tod 1468 um das Land verdient gemacht und wurde vom Papst zum „Kämpfer des Christentums“ ernannt, denn er hielt mehrfach Stand gegen die Osmanen. Eine berühmte Festung nebst Skanderbeg Museum im Städtchen Kruja wurde am Freitag angefahren, wo es allerlei historisches zu bestaunen gab. Die Veranstalter hatten außerdem ein Mittagessen vor Ort organisiert, das wir vor der Rückfahrt nach Tirana in geselliger Runde einnahmen.
Am späten Nachmittag dann großer Bahnhof auf dem zentralen Skanderbeg Platz in Tirana. Die Vespa Fanatics Tirana und andere Clubs hatten geladen und es kamen Roller-Fans aus Mazedonien, Serbien, Kosovo, Montenegro und sonst woher. Mit den Teilnehmern des Giro waren um die 800 Roller auf dem Platz und schließlich startete, im Beisein mir unbekannter Prominenz aus Politik und Kultur, der Korso durch die Hauptstadt. Ein schier endloses Band von Rollern aller Fabrikate schlängelte sich durch den Berufsverkehr. Die Polizei gab uns Geleit und die Einwohner schauten gebannt zu. Der Ausritt endete wieder auf dem Skanderbeg Platz und die abendliche Party konnte steigen. Auf der großen Bühne spielten diverse Bands, die Einheimischen gesellten sich hinzu und wir genossen den Anblick aus einiger Entfernung in einem Café, wo wir für den Abend versackten. Die Rollerszene in Albanien ist jedenfalls sehr lebendig und aktiv. Es war beeindruckend, was sie an diesem Tag auf die Beine gestellt haben. Helm ab!

Samstag: Zurück ans Meer

Nach der großen Sause am Freitag ging es zurück nach Durrës. Wir checkten im Hotel am Strand ein, allerdings möchte ich über die Umgebung lieber kein Wort verlieren. Hier will niemand seinen Urlaub verbringen, wenn er noch alle fünf Sinne beisammen hat. Der architektonische Sündenfall. Deshalb machten wir uns zügig vom Acker und besuchten einen befreundeten Händler in Durrës. Ergys Narta ist in der Gegend eine wichtige Anlaufstelle, wenn es um die Vespa geht. Er leitet auch den Vespa Club Durres und hat selbst eine große Sammlung mit teils sehr seltenen Vespas aus allen Epochen. Wir verbrachten gemeinsam einen geselligen Nachmittag. Für den Abend hatte er noch einen hervorragenden kulinarischen Tipp für uns. Inmitten des baulichen Trübsinns zeigte er uns ein Restaurant, wo wir ganz vorzüglich speisten. Da wären wir von alleine niemals drauf gekommen. Vielen Dank, Ergys!
Und während wir es uns schmecken ließen, zogen wir ein kleines Fazit: Albanien ist ein Land mit starken Kontrasten. Neben dem fetten deutschen Sportwagen rollt der Eselskarren. Auf dem Land steht an fast jeder Ecke jemand mit einer Kuh, die am Straßenrand grast. Die Natur ist wild und ursprünglich, aber in den Städten finden sich noch viele Bauten aus der Zeit des Beton-Kommunismus. Es gibt sicherlich einige Menschen mit reichlich Kohle, aber viel mehr Einwohner, die es (noch) nicht geschafft haben, auf den rasenden Kapitalismus-Zug aufzuspringen. Die Preise ziehen an, die Touristen strömen nicht gerade ins Land. Albanien hat eine bewegte Vergangenheit und ungewisse Zukunft. Für mich war es ein Abenteuer und echtes Erlebnis.


Sonntag: Heimreise
Die Nacht hatten wir auf der Fähre nach Bari verbracht und dann hieß es Abschied nehmen von alten und neuen Bekannten. Allerdings hatte Präsident Maurizio noch ein Farewell-Lunch organisiert, das seinesgleichen suchte. Eine Köstlichkeit übertraf die andere und mit vollen Bäuchen und allerlei geistigen Getränken in der Birne machten wir uns fröhlich auf den Heimweg.
Unser Dank gilt allen Organisatoren vom Vespa Club Bari. Was ihr mit dem Giro dei Tre Mari auf die Räder gestellt habt, nötigt uns bei SIP Scootershop hohen Respekt ab. Vom Start bis ins Ziel war alles bestens durchdacht, geplant und ausgeführt. So weit ich weiß, gab es keine ernsthaften Unfälle und keine unschönen Vorkommnisse. Für die Leitung dieser Tour habt ihr euch auf jeden Fall eine Goldmedaille verdient. Im Namen der Squadra SIP sage ich: „Mille Grazie!“